Ladakh, Indien
Die Region Ladakh liegt im westlichen Himalaya-Gebirge an der Grenze zu Pakistan. Bis in die 1970er Jahre war die Region aufgrund ihrer geographischen Lage von der Außenwelt nahezu abgeschnitten und wenig berührt von Veränderungen jenseits seiner Grenzen. Das reichhaltige künstlerische und architektonische Erbe blieb dank dieser relativen Isolation von den Zerstörungen und dem Verfall, dem die Mehrheit der buddhistischen Kulturgüter in der tibetischen Welt ausgesetzt waren, verschont. Ladakh’s Kulturdenkmäler sind daher heute unersetzliche und in manchen Fällen einzigartige Beispiele dieser beeindruckenden Kunst- und Bautradition.
Die radikalen Veränderungen der letzten Jahrzehnte haben jedoch die Fragilität dieses Kulturerbes offensichtlich gemacht. Unkontrollierte Bauvorhaben, der plötzliche Anstieg touristischer Aktivitäten in der Region, Auswirkungen des Klimawandels und der Verlust traditionellen Wissens werden mehr und mehr zu ernstzunehmenden Bedrohungen für die uralten Klöster und historischen Dörfer, die zu den wertvollsten kulturellen Ressourcen der Ladakhis gehören.
2009 wurde eine Initiative mit dem Ziel gestartet, die Lokalbevölkerung zukünftig in die Lage zu versetzen, den Schutz, den Erhalt und das Management ihres Kulturerbes selbst in die Hand zu nehmen. Ein dreijähriges Piloprogramm wurde von Ernesto Noriega mit der Achi Association (einer in der Schweiz basierten NGO, die in der Region Restaurationsarbeiten umsetzt) und dem buddhistischen Drikung-Orden mit Unterstützung des Getty Trust (USA) durchgeführt. Die Zielgruppe des Trainingprogramms waren junge Ladakhi, die in Zukunft eine wichtige Rolle beim Erhalt des Kulturerbes der Region spielen.
Eine Gruppe von Schülern und jungen Nonnen und Mönchen aus zwölf Dörfern nahmen an einer Reihe von Workshops, Exkursionen und Kleinprojekten teil. Das Dorf Wanla wurde für das Trainingsprogramm aufgrund seiner schutzbedürftigen historischen und religiösen Denkmäler ausgewählt. In Wanla hat die Jugendgruppe Häuser und Felder des Dorfes vermessen und Zeichnungen des historischen Ortes und zweier angrenzender Dörfer angefertigt (siehe Site plan). Photographien, zeichnerische Entwürfe und Interviews mit älteren Gemeindemitgliedern ergänzen die Informationen. Die Gruppe setzte auch einen zeremoniellen Pfad zu dem Tempel wieder in Takt.
Mitglieder der Gruppe haben ihre neu erworbenen Fähigkeiten an Jüngere weitergegeben und sie dabei angeleitet, historische und religiöse Bauten ihrer Dörfer zu dokumentieren. Bis zu 45 Kinder und Jugendliche waren jeweils bei den Erhaltungs- und Schutzmaßnahmen der Kulturdenkmäler in ihren Dörfern beteiligt.
Die hohe Motivation und das neu entstandene Verantwortungsgefühl der Gruppe, und ihr Willen, dieses neue Bewusstsein in konkrete Aktionen umzusetzen, zeigt sich an ihrem langjährigen Einsatz für das Wahrzeichen von Skurbuchan, einem Tempel mit angegliederten Wohnhäusern. Mit der Hilfe der Gemeinde wird dieser Tempel seit 2012 restauriert. Die Gruppe hat parallel dazu mehrere Sensibilisierungskampagnen für den Schutz ihres Kulturerbes in den Dörfern Ladakhs durchgeführt.
Statements von Mitgliedern der Jugendgruppe:
Konchok Motup: „Schon als Kind haben mich historische Gebäude interessiert. Ich mache mir große Sorgen um ihren Erhalt. Ich kann mir vorstellen, den Rest meines Lebens dieser Aufgabe zu widmen.“
Thundup Namgyal: „Es ist moralisch nicht vertretbar, anderen Dorfbewohnern zu sagen, dass sie weiterhin in traditionellen Häusern wohnen sollen, wenn wir selbst in modernen Häusern wohnen. Wir müssen selbst vormachen, wie man in einem traditionellen Haus mit all den Komforts und Vorzügen leben kann, und die traditionellen Bautechniken verbessern.“
Jigmet Namgyal: „Am Anfang wollten die Dorfbewohner unseren Rat nicht annehmen, sie stellten unsere Authorität als Einzelpersonen in Frage. Aber jetzt, wo wir organisiert sind und eine Institution uns den Rücken stärkt, haben wir mehr Glaubwürdigkeit und können mehr erreichen.“
Weiterführende Informationen:
- Eine ausführliche Beschreibung des Projektes und Evaluation der Initiative von Ernesto Noriega findet sich hier (auf englisch), erschienen in der Publikation: „Against Forgetting: Investigating and Preserving Historic Buildings in a Himalayan Village“, Alexandra Skedzuhn-Safir, Martina Oeter, Hilde Vets, Heike Pfund (Hrsg.) (2021), S. 6-29.
- Der Site plan, den die Jugendgruppe gemeinsam mit der Dorfbevölkerung in Wanla angefertigt hat.